Berichte
Wo Pathos willkommen ist

Der Musikverein Höngg zeigt in seinen Konzerten regelmässig alle Facetten der Blasmusik. Besonders eindrücklich klingt es jeweils, wenn er im Toniareal auftritt.
Bereits zum zweiten Mal hiess es für den Musikverein «go west», als er vergangenes Wochenende zum traditionellen Märzkonzert ins Toniareal lud. Auch musikalisch ging es tendenziell in Richtung Westen, auch wenn ab und zu ein kleiner Schlenker gemacht wurde und man am Ende im Osten landete, wie das so ist, bei einer Kugel. Wer beim Ausdruck Blasorchester nur stramme Märsche hört, liegt an diesen Anlässen völlig falsch. Die Stücke sind oft episch, reine Filmmusik, die einen vom ersten Klang an auf Reisen schickt. Erster Halt: Pennsylvania, USA. Mit Rossano Galante geht es zu den Red Rock Mountains, die in der Abenddämmerung glühen. Am nächsten Morgen wächst die Sonne bis zu den Gipfeln hoch, und das ganze Massiv wird in seiner beeindruckenden Grösse sichtbar. Nein, es ist wirklich nicht möglich, diese Musik zu beschreiben, ohne pathetisch zu werden. Doch das ist auch das Schöne: Pathos hat hier Platz und die Musiker*innen werden ihm immer gerecht.
Von Inkas und Armenischen Pflaumen

Durch den Abend führte dieses Mal Frédéric Voisard. Mit bildhafter Sprache erklärte er die nächste Etappe, das nächste Stück von Satoshi Yagisawa. Das beginnt ganz anders als erwartet: Statt sanfter Morgendämmerung auf dem Machu Picchu wird das Publikum von einem heftigen Einstieg überrascht, als wären die Spanier bereits dabei, die Goldschätze wegzutragen. Die Perkussionisten werden nervös, die Tubas und Fagotte kündigen Unheil an in der «City in the Sky». Eine dramatische Geschichte. Ganz anders der Abstecher an die Ostküste Nordamerikas, wo die «Songs from the Catskills» mit irisch-schottischen Einflüssen die Arbeit in den Steinbrüchen und die Rivalitäten zwischen Iren und Italiener früherer Zeiten in einer recht fröhlichen Art beschreiben. Selbst das Klagelied klingt wie eine Tom-&-Jerry-Episode. Das ist nicht despektierlich gemeint! Mit einem Klassiker der sinfonischen Blasmusik – den «Armenian Dances 1» von Alfred Reed – «tanzt» das Orchester trippelnd und trappelnd durch die armenische Steppe. Gomidas Vartabed (1869-1935) sammelte und verarbeitete für diese Kompositionen armenische Volksweisheiten. Es endet in heiterem Gelächter und bildet einen fulminanten Abschluss der ersten Konzerthälfte.
Multifunktionales Orchester

Kein Musikverein-Konzert ohne Überraschungseinlage. Manchmal klatschen sie, manchmal summen sie, die Musiker*innen des Blasorchesters sind vielseitig begabt. «The Wall» von Otto M. Schwarz spielt an der Grenze zum römischen Reich 300 Jahre nach Christus und bezeichnet wohl den Anfang vom Untergang desselben. Neben Überfällen und Scharmützel wird in solchen Grenzgebieten auch viel «geschwätzt», was die Mitglieder des Orchesters mit heiterem Durcheinandergerede herrlich umsetzen. Auch diese humorvollen Einlagen machen die Konzerte zu etwas Besonderem. Bernhard Meier zeigt gewohnten Körpereinsatz im Titelsong «The Exodus Song» des Kriegsdramas «This Land is Mine» und viel zu schnell kündigt Frédéric Voisard das letzte Stück an: «Miss Saigon» von Claude-Michel Schönberg, arrangiert von Johan de Meij. Wenn schon, dann in Schönheit sterben, wird sich der Musikverein gesagt haben und führt das Publikum durch eine Achterbahn der Gefühle, inklusive Kriegswehen, unmöglicher Liebe und unglücklichem Ende. Doch das gilt nur für die Protagonistin der Geschichte. Das Publikum verlässt sichtlich beglückt den Saal.
Bericht von Patricia Senn (Höngger, 25. März 2019)
Zeitreise mit dem Musikverein Höngg
«Wir heissen Sie herzlich willkommen in unserer Zeitmaschine», begrüssten die Moderatorinnen Rahel Christen und Marie-Louise Schneider das Publikum zum Konzert des Musikvereins Höngg – eine Zeitreise quer durch die Musikgeschichte war angesagt.
Der erste Halt der Zeitmaschine war London in der Barockzeit: Das Orchester unter der Leitung von Bernhard Meier begann mit sechs Sätzen aus Händel’s «Water Music Suite». Ein Stück, das von Anfang an sehr pompös ist – und das soll es auch sein, denn die Wassermusik wurde von König George in Auftrag gegeben, um sich selber Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auch der Musikverein sicherte sich mit diesem Einstieg die volle Aufmerksamkeit des Publikums, und so steuerte die Zeitmaschine schon auf die nächste Station zu. Zwischen den einzelnen Stücken erfuhr das Publikum dank den Ansagen von Rahel Christen und Marie-Louise Schneider interessante Hintergrundinformationen zu den Stücken. Die Beiträge waren sehr humorvoll und sorgten beim Publikum für einige Lacher. Nach einem Zeitsprung in die Romantik stand eine der berühmtesten Opern auf dem Programm: Das Orchester spielte die Ouvertüre aus der «Zauberflöte» von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Stück schrieb Mozart nur zwei Tage vor der Uraufführung. Mal leise und fein, und dann plötzlich wieder laut und pompös – die Umsetzung des Stückes konnte das Publikum definitiv überzeugen.

Von der Liebe und vom Schafott
Erneuter Wechsel der Szenerie: 40 Jahre später – 1830 in Paris – schreibt Hector Berlioz den «Marche au Supplice»: den Gang zum Schafott. Wie der Name schon sagt, ist dies keine freudige Musik. Der Protagonist ist verliebt in eine irische Schauspielerin, die die Liebe jedoch nicht erwidert. Aus Frust nimmt er Opium und verfällt in einen tiefen Schlaf, in dem er vom Gang zum Schafott träumt. Kurz bevor die Axt fällt, kommt in ihm die letzte Erinnerung an die Liebe auf. Dieses auf und ab der Gefühle brachte das Orchester wunderbar herüber: Nach einem sehr dumpfen, schwermütigen Anfang gab es wiederholte Crescendos, dazwischen wurde es wieder ruhiger: Laut, leise, laut; als könne sich der Protagonist nicht zwischen dem schönen Gedanken an die Liebe und dem traurigen Gedanken an die Guillotine entscheiden. Ein lautes und abruptes Ende markierte klar den Fall der Axt. Doch das war zum Glück alles nur ein Traum – und auch die Zeitreise war noch nicht beendet. Nabucco, das Stück, das Giuseppe Verdi endlich zum Durchbruch verhalf, führte ins Italien der 1850er-Jahre. Hier überzeugte vor allem das Klarinetten-Solo. Von Italien nach Südspanien, in die Post-Romantik. «Sevilla» von Isaac Albeniz brachte deutlich bessere Laune; es überkam einem gar die Lust, das Tanzbein zu schwingen.
Das letzte Stück auf dem Programm war «Pomp and Circumstance Nr.1» von Edward Elgar von 1901: Der Marsch, der inoffiziell auch als Hymne Grossbritanniens gilt, hat wirklich etwas sehr Patriotisches an sich. Doch das Beste kam zum Schluss, und so war es auch mit der Zugabe, die einen an eine traurige Abschiedsszene in einem Film erinnerte. Auch das Publikum musste damit Abschied nehmen von der fulminanten Zeitreise durch verschiedene Epochen.
Bericht von Lina Gisler (Höngger, 11. Dezember 2019)